Unsichtbare Burgen
Im 6. Jahrhundert wanderten slawischen Stammesgruppen von Osten her auch ins Oderbruch ein. Noch heute erzählen kaum sichtbare Wallanlagen von dieser Zeit.
Gegen Ende des 6. Jh. u. Z. wanderten die ersten slawischen Stammesgruppen von Osten her in das fast völlig entvölkerte Lebuser Land ein. Anhand der bei ihnen üblichen, vorwiegend unverzierten Keramik ist erkennbar, daß sie aus polnischen Gebieten kamen, die sich bis zur Weichsel erstreckten. Ihre Spuren im Land Lebus sind bisher bei Kersdorf und bei Hasenfelde gefunden worden, allerdings lassen Unterschiede in der Hausbauweise vermuten, daß es sich um verschiedene Stammesgruppen handelte. Solche frühslawischen Funde, die auf östliche Herkunft deuten, gibt es auch im benachbarten Barnim und in weiter nördlich gelegenen Gebieten. Derzeit werden diese ältesten slawischen Ansiedler als Sukow-Szeligi-Gruppe bezeichnet, wobei künftig mit einer weiteren Differenzierung zu rechnen ist.
Während die ersten Siedlungen offenbar unbefestigt waren, legten schon im 7. Jh. nachfolgende Einwanderergruppen Burgen an. Das deutet auf zeitweilig feindselige Beziehungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen hin. Die wohl früheste Anlage dieser Art ist die große Burg von Waldsieversdorf, die auf einem spornartigen Höhenrücken liegt, der auf drei Seiten von Seen oder Sumpf umgeben ist und an der Verbindungsstelle zum anschließenden Höhenland durch einen 150 m langen, heute noch knapp 3 m hohen Wall abgeriegelt wird. Die derart geschützte nutzbare Innenfläche, die noch in einen zweiten Wall geteilt ist, oder einer frühen Phase des Feldberger Typs2 zugeordnet. Ebenfalls im 7. Jh., wenn auch wohl etwas später, entstand die mittelgroße Niederungsburg von Wilmersdorf, ein Ringwall mit etwa 90 m Durchmesser. Beide Burgen wurden gegen Ende des o., spätestens im 9. Jh. aufgegeben und durch kleinere Burganlagen in der näheren Umgebung abgelöst.
Stammesnamen sind für die ersten Einwanderergruppen nicht überliefert. Weitere Stämme oder Stammesteile kamen noch gegen Ende des 7. Jh. von Südosten her ins Land. Ihre Keramik, die schon mittels Drehscheibe hergestellt wurde, weist Beziehungen nach Schlesien und zum Gebiet an der oberen Weichsel. Entlang der Oder zogen sie nach Norden und Nordwesten. Die Einwanderer mit Keramik des Feldberger Typs lassen sich mit dem Stammesverband der Wilzen verbinden, die seit dem 8. Jh. häufig erwähnt werden. Die Gruppen, bei denen sich vorwiegend Keramik Tornower Typs findet, werden im 9. Jh. als Lusizi (im Raum um den Spreewald) und im 10. Jh. als Selpoli (an Oder und Neiße nahe der Neißemündung) genannt. Am Odertalrand des Landes Lebus entstanden im 7. Jh. drei große Volksburgen, in denen sich sowohl Feldberger als auch Tornower Keramik fand.
Bei Lossow und in Lebus wurden die Überreste der eisenzeitlichen Burgen durch erneuerte Wallanlagen ausgebaut, auf dem Reitweiner Sporn wurde eine große Burg ganz neu angelegt. Diese großflächigen Burgen waren dicht besiedelt. Daneben entstanden wohl im Laufe des 8. Jh. einige wesentlich kleinere Niederungsburgen (Kienitz im Oderbruch, der Burgwall von Güldendorf in der Oderaue, die Burg bei Arensdorf anstelle der aufgegebenen älteren Anlage bei Wilmersdorf, eine Burganlage am Ufer des Schermützelsees bei Buckow anstelle der etwa am Ende des 8. Jh. verlassenen großen Höhenburg von Waldsieversdorf). Bei den meisten Burgen konnten mehrere Bauphasen beobachtet werden, die durch Brandschichten voneinander getrennt waren. Das läßt - ebenso wie der beträchtliche Aufwand für die Befestigung selbst - auf wiederholte gewaltsame Auseinandersetzungen schließen. Über die offenen (unbefestigten) Siedlungen gibt es bisher nur geringe Erkenntnisse.
Gegen Ende der älterslawischen Zeit, in der zweiten Hälfte des 10. Jh., wurden die meisten Burgen durch Brände zerstört. Das ist in den großen Burgen von Lossow, Lebus und Reitwein, in Kliestow, einer seit dem 9. Jh. bestehenden Schutzburg für Lebus, aber auch in kleineren Anlagen wie Buckow und Arensdorf nachweisbar. Dieses Geschehen war offenbar mit einer Expansion des polnischen Feudalstaates unter Mieszko I. verbunden, die durch Vorstöße polnischer Heere 991 und 992 bis zum Heveller-Hauptort Brandenburg belegt ist. Von den großen Burgen wurde danach lediglich Lebus umfassend wieder aufgebaut; es ist damit eindeutig als überragender Hauptort des Landes faßbar. In die Burg Lossow wurde nur eine sehr kleine Wallanlage hineingebaut, die vermutlich das Land nach Süden sichern sollte. Reitwein könnte noch einmal kurzfristig wiederhergestellt, aber danach bald aufgegeben worden sein.
Seit dieser Zeit war das Land Lebus für mehr als zweieinhalb Jahrhunderte Bestandteil des polnischen Staates. Kleinere Burgen standen in spätslawischer Zeit vor allem an einigen Zugängen zum Land, so in Kienitz, Platkow, Buckow (im Ortskern, am Stobberfließ), bei Liebenberg und am Dehmsee östlich Fürstenwalde; dazu kam noch an dem quer durchs Land führenden Heer- und Handelsweg die Burg Falkenhagen.
Annähernd in die gleiche Zeit, wie der Beginn der polnischen Herrschaft, fällt der Übergang zur jüngerslawischen Keramik, die an den Bodenfunden erkennen läßt, daß die Zahl der offenen, unbefestigten Siedlungen zunahm. Das gilt für den Odertalrand, aber auch für die Täler der Hochfläche und besonders für den Raum Frankfurt.
Das Land wurde zunehmend in die deutsch-polnischen Auseinandersetzungen hineingezogen. Eine überregionale Straße, die Magdeburg mit den polnischen Zentren Posen und Gnesen verband, führte von Köpenick kommend nach Lebus und überquerte dort die Oder, auf ihr zogen Heere, Fernhändler und diplomatische Missionen durchs Land. Ein Kriegszug König Heinrichs V. gegen Polen im Jahre 1109 wandte sich zunächst gegen Lebus, das bei dieser Gelegenheit erstmals in der schriftlichen Überlieferung erwähnt wurde. Dabei belagerte und eroberte der Erzbischof von Magdeburg die Lebuser Burg, die er dann angeblich vom König geschenkt bekam.
Mit diesem Ereignis lassen sich Brandschichten verbinden, die bei Ausgrabungen gefunden wurden und das Ende der ersten Bauphase der jüngerslawischen Burganlage markieren.
Nach der Rückeroberung wurden die zerstörten Wallanlagen wiederhergestellt. Lebus blieb Bestandteil des polnischen Staates. Schon einige Jahrzehnte zuvor waren die Bewohner des Landes als »Leubuzzi« erwähnt worden, eine Bezeichnung, die sicher vom Namen des Hauptortes abgeleitet war und wohl erst seit der Tat der polnischen Herrschaft galt.
(aus: Rolf Barthel: Die Besiedlungsgeschichte des Landes Lebus, in: Cornelia Willich: Brandenburgisches Namenbuch, Teil 8. Die Ortsnamen des Landes Lebus, Weimar 1994.)